Todesmärsche während der sog. "wilden Vertreibung" in der Tschechoslowakei
(Edith Bergler, Bayreuth)

 

Zwei ausgewählte Beispiele:

I. Der Todesmarsch von Komotau (Chomutov) nach Deutsch-Neudorf in Deutschland
(9. bis 12. Juni 1945)

 

Leiter dieser Maßnahme war Stabshauptmann Prášil.

Nach dem Abschluß der Säuberungsmaßnahme wurde er zum Major befördert.

Am 9. Juni 1945 hatten sich sämtliche männlichen Einwohner von Komotau im Alter von 13 bis 65 Jahren ( Kranke waren nicht ausgeschlossen ) auf dem sogenannten Jahnspielplätzen einzufinden.

Schließlich waren ca. 8000 sudetendeutsche Männer versammelt.

Alle Männer mußten den Oberkörper entblößen und die Arme hochheben, damit die Angehörigen der SS gefunden werden konnten. 15 Anwesende wurden aussortiert und vor den Augen aller und vieler johlender Tschechen gefoltert und zu Tode geprügelt.

Danach wurden die Namen von ca. 120 Männern über Lautsprecher verlesen, die in lebenswichtigen Betrieben beschäftigt waren. Sie hatten sich gesondert zu stellen und durften nach Hause gehen.

Danach mußten sich alle wieder ankleiden und zu einer Marschkolonne formieren.

Um 14 Uhr setzte sich der Zug unter brutalen Kommandos in Bewegung.

Schon im Stadtgebiet von Komotau konnten einige nicht mehr weiter, weil sie krank waren. Deshalb wurden sie an Ort und Stelle erschossen.

Der Marsch ging über Görkau ( Jirkov), Rothenhaus ( Cervený Hrádek), Türmaul ( Drmaly), Kunnersdorf ( Kundratice), Eisenberg ( Jezeři) über den Kamm des Erzgebirges nach Gebirgsneudorf ( Nová Ves v Horách) und von dort nach Deutsch-Neudorf in Deutschland.

Als die Männer durch Görkau marschierten, eröffneten die tschechischen Begleitmannschaften eine wilde Schießerei gegen die Häuser, in offene Fenster und Haustüren. Kein Einwohner durfte sich blicken lassen. Die bei der Schießerei getöteten Komotauer mußten später von den Einwohnern Görkaus begraben werden.

Konnte ein Mann nicht mehr weitergehen, und das geschah vielen, denn die steilen Serpentinen hinauf zum Eisenberger Schloßberg mußten im Laufschritt und unter Schlägen von Gewehrkolben, Maschinenpistolen und Peitschen bewältigt werden, wurde er erschossen. Die Einwohner durften die Toten nicht auf den Friedhöfen der Orte bestatten, durch die die Männer getrieben wurden, sondern mußten sie an Ort und Stelle verscharren.

Die genaue Zahl der auf diesem Marsch ums Leben gekommenen Komotauer wird nie exakt festgestellt werden können. Jedoch geben die am Ende des Zuges Marschierenden die Zahl der Toten mit weit über 70 an.

Als am Abend die Spitze des Zuges an der Grenze zu Deutschland vor Deutsch-Neudorf anlangte, verweigerten die Russen die Aufnahme und verboten den weiteren Grenzübertritt.

Die folgende Nacht mußten die Männer in Fünferreihen auf der Straße sitzend verbringen. Brot oder Wasser gab es nicht. Mehreren gelang in dieser Nacht die Flucht. Die weiteren Verhandlungen zwischen Tschechen und Russen über den Abschub der Komotauer über die Grenze blieb erfolglos.

Am 12. Juni um 13 Uhr wurden diese Männer dann nach Maltheuern (Zaluži) bei Brüx (Most) getrieben. Dort wurde mit diesen Arbeitssklaven das tschechoslowakische KZ "koncentračni tábor 27 Zaluzi" (Maltheuern) eröffnet, in dem bis zum Ende des Krieges tausende Zwangsarbeiter aus unterschiedlichen Ländern interniert gewesen waren und in den Hermann-Göring-Werken (Hydrierwerke) arbeiten mußten. Diese waren nach Kriegende sofort enteignet worden und hießen nun Stalin-Werke.

Quelle: Theodor Schieder (Hg.): Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Bd. IV/I, Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Bonn 1957;

 

Am 26. Juli 2003 weihte der Heimatkreis Komotau in Deutschneudorf (Sächsisches Erzgebirge)an der Stelle, an der die Männer die Grenze nicht überschreiten durften, und heute ein Rad- und Wanderweg über die Grenze führt, die "Gedenkstätte 9. Juni 1945" ein.

Die Inschrift lautet:

"Zum Gedenken an die vielen Opfer des Todesmarsches der Komotauer Männer am 9. Juni 1945 von Komotau über Gebirgsneudorf nach Maltheuern, die Toten des Massakers auf den Jahnspielplätzen und im ganzen Bezirk, an die gemarterten Frauen, die Toten im KZ Glashütte (Sklarska) und alle Opfer der Vertreibung."

 

 

II. Der Todesmarsch von Brünn (Brno) am 30. Mai 1945

Der Todesmarsch wurde in einem Klima des Hasses auf alle Deutschen und der allgemeinen Entgermanisierungs-Euphorie durchgeführt. Für beides trug der nichtgewählte Staatspräsident Edvard Beneš die volle Verantwortung.

Als direkt Verantwortliche in Prag sind zu nennen:

Václav Nosek, Innenminister;

Klement Gottwald, Vize-Premier, Chef der Kommunistischen Partei.

Vor Ort waren für den Ablauf verantwortlich:

Karel Smítal, Sicherheitsbeauftragter für den Nationalausschuß des Landes;

Bedřich Pokorný, Kommandeur der Nationalen Sicherheitswache.

Pokorný wurde nach erfolgter Aktion ins Innenministerium versetzt und zum Leiter des staatlichen Nachrichtendienstes befördert.

 

Beide wurden unterstützt von Revolutionären Garden, "Partisanen" sowie den Arbeitern der Brünner Waffenwerke "Zbrojovka". Letztere wollten vermutlich mit ihrem Einsatz bei der "Säuberung" des Vaterlands den Vorwurf entkräften, allzu fleißig und freiwillig für Hitlers Wehrmacht Waffen montiert zu haben.

Am 12. Mai 1945 hatte Beneš vom Balkon des Rathauses in Brünn (Brno) zur Liquidierung der Deutschen aufgerufen.

Am 16. Mai hatte Karel Smítal die Konzentrierung der Deutschen in Lagern angeordnet.

Am 18. Mai hatte Smítal Hauptmann Pokorný mit einer von Innenminister Nosek unterzeichneten Urkunde zum Kommandeur der Nationalen Sicherheitswache in Mähren ernannt, deren Einheiten auch für die Registrierung der Deutschen zuständig waren.

Am 22. Mai war Vizepremier und KP-Chef Klement Gottwald nach Brünn ( Brno) gekommen, um dem Landes-Nationalausschuß (ZNV) die Richtlinien für die Behandlung der Deutschen zu erläutern.

Am 29. Mai hatte der ZNV (Landesnationalausschuß) beschlossen, die Deutschen aus der Stadt "hinauszuführen".

Am 30. Mai wurden die Deutschen, außer Männern unter 60 Jahren, die in Arbeitslagern waren, an verschiedenen Stellen der Stadt zusammengetrieben. Dort wurden ihnen sämtliche Wertgegenstände, Sparbücher und Geld abgenommen.

Am 31. Mai 1945 (Fronleichnamstag) setzte sich der Elendszug der Alten, Frauen und Kinder in den frühen Morgenstunden in Bewegung.

Aus den Vororten und den Sprachinseln Cernowitz (Černovice), Nennowitz (geschleift), Kumrowitz (Komárov), Gerspitz (Heršpice), Priesenitz (Přízřenice), Mödritz (geschleift), Schöllschitz (Želešice)und Maxdorf (Dvorska) hatten sich die Getriebenen auf der Wiener Straße in Vierer-Reihen in die Kolonne einzugliedern, die schließlich 25.000 bis 30.000 Menschen zählte.

Bei großer Hitze, ohne Wasser und Nahrung und unter ständigen Mißhandlungen wurden sie an die ca. 54 Kilometer entfernte österreichische Grenze getrieben. Entkräfteten, und davon gab es viele, durfte nicht geholfen werden. Sie wurden am Straßenrand erschlagen oder erschossen. Die Erdlöcher, in denen man sie verscharrte, sind nicht bekannt.

In Raigern (Rajhrad) wurden die Unglücklichen zur weiteren Durchsuchung in umzäunte Pferche getrieben. Dort nahmen ihnen Partisaninnen die noch verbliebenen Wertgegenstände ab. Wohl niemand ist aus diesen Einzäunungen mit seinem Ehering herausgekommen. Besonders entwürdigend waren die Leibesvisitationen. Frauen und Männer mußten sich nackt ausziehen und in erniedrigendster Weise begrapschen lassen.

Vor Pohrlitz (Pohořelice) entlud sich ein Gewitter mit wolkenbruchartigem Regen. Die Durchnäßten mußten die Nacht im Zwischenlager Pohrlitz (Pohořelice) im Freien, in einer zerbombten Lagerhalle auf blankem Betonboden, in einer Zementfabrik, in einer Flugzeugmotorenhalle, in zerstörten Baracken, die die Nationalsozialisten gebaut hatten, oder in Scheunen verbringen. Junge Frauen, Mädchen und Kinder waren die Lustobjekte nicht nur der russischen Vergewaltiger in dieser Nacht. Durch verunreinigtes Wasser waren Ruhr und Typhus ausgebrochen.

Für 900 alte Männer, Frauen und Kinder hatten die Qualen hier ein Ende. Sie wurden in einem Massengrab verscharrt. Hätte nicht der Totengräber der Stadt, Jan Hochmann, eine Liste der Toten angelegt, die leider teilweise verschwunden ist, wüßte man nicht einmal die Namen von ungefähr 400 an diesem Ort Gestorbenen.

Mit letzter Kraft schleppten sich die Elenden am nächsten Morgen zur Grenze weiter. Sie wollten wenigstens auf österreichischem Gebiet und nicht in der Tschechoslowakei sterben. Das Ende des Zugs durfte die Grenze nicht mehr überschreiten, weil Prag Erntehelfer in Südmähren brauchte. Daher finden sich in 16 Orten Südmährens Gräber, in denen 85 Opfer dieser Unmenschlichkeit ruhen.

Die österreichischen Gemeinden waren mit der Ankunft einer derartig großen Menschenmenge überfordert. Sie konnten nur für einige Tage Unterkunft und Hilfe anbieten. Daher schleppten sich die Elenden auf der Straße nach Wien weiter. Wie schwarze Perlen reihen sich die Massengräber in Österreich in den Orten Dasenhofen, Steinebrunn, Herrenbaumgarten, Poysdorf, Wetzelsdorf, Erdberg, Willfersdorf, Mistelbach, Bad Pirawarth, Wolkersdorf, Stammersdorf, Purkersdorf, Hollabrunn und auf dem Zentralfriedhof von Wien aneinander. Sie sind stumme Zeugen dieses unmenschlichen Verbrechens.

Von keinem anderen Ort Europas ist nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine derartige Massenaustreibung bekannt geworden.

Die Regierung in Prag war mit der erfolgreichen "Säuberungsaktion" der Stadt Brünn (Brno), bei der ungefähr 10.000 alte Männer, Frauen und Kinder ihr Leben verloren hatten, voll zufrieden. Pokorný wurde nach erfolgter Aktion ins Innenministerium versetzt und zum Leiter des staatlichen Nachrichtendienstes befördert.

Angesichts dieser eiskalt kalkulierten und durchgeführten Brutalität gegen Kinder, Frauen und Alte, die ihren Ursprung nicht in der besonders gewalttätigen Persönlichkeitsstruktur einzelner hatte, sondern ein von der Regierung angeordnetes Verbrechen war, sei auf die sogenannten "Zehn Gebote für den tschechoslowakischen Soldaten im Grenzgebiet" verwiesen, die Tomáš Staněk in seinem Buch "Verfolgung 1945" anführt. Dort wird beispielsweise Folgendes gesagt:

"Der Deutsche ist unser unversöhnlicher Feind geblieben. Höre nicht auf, den Deutschen zu hassen...Benimm dich gegenüber den Deutschen als Sieger...Sei hart gegenüber den Deutschen...Auch die deutschen Frauen und die Hitlerjugend sind mitschuldig an den Verbrechen der Deutschen. Sei ihnen gegenüber unnachgiebig."

In Brünn (Brno) hätte wohl niemand jemals über diesen Auswuchs tschechischen Hasses gesprochen, wenn nicht die "Jugend für Interkulturelle Verständigung" unter dem damaligen Studenten Ondřej Liška dem kollektiven Schweigen und Verdrängen ein Ende bereitet hätte. Im Jahr 2001 rang sich der Stadtrat zu einem Bedauern dieses Verbrechens durch.

An der Gedenkstätte in Pohrlitz (Pohořelice), die 1992 vom österreichischen Schwarzen Kreuz und dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge errichtet worden war, gedachte man an Allerheiligen 2001 der Toten in einem ökumenischen Gottesdienst für Deutsche und Tschechen.

Da Beneš zur Liquidation der Deutschen aufgerufen hatte, erließ er zum Schutz der Verbrecher, die seinen Auftrag erledigt hatten, am 8. Mai 1946 das Dekret 115. Darin rechtfertigt er die Verbrechen an den Deutschen und schützt die Verbrecher mit folgendem Wortlaut vor Strafe:

"Eine Handlung, die in der Zeit vom 30. September 1938 bis zum 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde und...eine gerechte Vergeltung zum Ziel hatte, ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre."

Quellen:

Sidonia Dedina: Edvard Beneš – Der Liquidator, Dinkelsbühl 2000;

Theodor Schieder (Hg.): Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Bd. IV/I, Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Bonn 1957;

Hertl Hans, Pillwein Erich, Schneider Helmut, Ziegler Karl Walter: Der Brünner Todesmarsch 1945, Ludwigsburg 1998;

Tomáš Staněk: Verfolgung 1945, Wien Köln Weimar 2002;

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