Fliegeralarm in Eger 1940 – 1945

Edith Bergler, Bayreuth

 

Dank der Aufzeichnungen des Georg Forster, des Schriftführers der Freiwilligen Feuerwehr in Eger, wurden sämtliche Fliegeralarme, die in Eger zwischen 1940 und Kriegsende 1945 ausgelöst wurden, genau festgehalten. Roland Fischer veröffentlichte die Liste 1995 in der "Egerer Zeitung" (Heimatzeitung).

Schon 1940 gab es 16 Fliegeralarme, die vor anfliegenden Verbänden der Alliierten warnten.

Die Egerer nahmen den Alarm mit mehr oder weniger Gelassenheit hin, denn bis jetzt hatte die Stadt nur im Überflugsgebiet gelegen.

Plötzlich waren dumpfe Detonationen zu hören. Vier Bombeneinschläge erschütterten einen Teil der Stadt. Zwei hatten die untere Landwehrkaserne getroffen, einer die Autowerkstätte Schneider. Auch an der Ecke des Gasthauses "Zum Landesschützen" war eine Bombe niedergegangen.

Als um 1.45 Uhr die Entwarnung kam, waren die ersten Bombenopfer (Schneider und Ernstberger) in der Stadt zu beklagen.

Sicher waren diese Bomben über Eger versehentlich ausgeklinkt worden, da es nur eine kleine Anzahl war und keine weiteren Angriffe folgten.

1941 wurde die Stadt 14mal von feindlichen Verbänden überflogen.

1942 warnten die Sirenen siebenmal.

1943 gab es 23 Warnalarme.

1944 im Frühling näherte sich der Krieg auch dem Egerland. In diesem Jahr wurden 67 Alarme verzeichnet, die weiterhin nur Warnalarme waren.

Am 10. Februar 1944 rettete sich ein amerikanischer Bomber zur Notlandung auf den Egerer Flugplatz.

Nach Wolfgang Elsner übergab die Besatzung die für den Rückflug zu stark beschädigte Maschine einschließlich der Bomben dem Chefpiloten Mücke der Flugzeugwerke. Zwei Mann der Besatzung waren leicht verletzt und wurden ärztlich behandelt. Die Maschine wurde in Halle 3 repariert. Nachdem sie flugklar war, kam eine Besatzung von der Flugzeugerprobungsstelle Rechlin am Müritzsee und flog die Maschine in Bodenhöhe (unter 200 m) ohne Probleme und nicht zur Freude der Alliierten zur weiteren Erprobung dorthin.

Der Anflug erfolgte in mehreren Wellen. Es traf vor allem die untere Grabenstraße (heute Europská), die Dammgasse (heute Na hrázi), den Anger und wahrscheinlich auch den Viadukt. Nach der Entwarnung um 14.10 Uhr wußten die Egerer, daß die Zeit der Überflüge beendet war und die Stadt nun im Zielgebiet lag. Auch am folgenden Tag waren Teile der Stadt noch ohne Strom, Gas und Wasser.

Nach Roland Fischer starben bei diesem Angriff 54 Menschen aus Eger und Umgebung.

1945 wurden während der ersten vier Monate 89 Alarme ausgelöst, denn die amerikanische Armee bereitete mit Bombenangriffen und Artilleriefeuer ihren Einzug ins Egerland vor.

Nachfolgend wird auf drei Bombenangriffe der Amerikaner genauer eingegangen:

Dieser Bombenangriff galt hauptsächlich den außerhalb der Stadt gelegenen Flugzeugwerken in Eger sowie der nahe gelegenen Schwedenhöhe (Švédsyý Vrch). Zum Glück verlief diese Bombardierung relativ glimpflich. An den Flugzeugwerken entstand dabei wenig Schaden. Nur ein Flugzeug wurde zerstört. Laut "Egerer Zeitung" vom 20. Februar waren drei Todesopfer zu beklagen.

An diesem herrlichen Palmsonntag folgte der nächste Angriff auf die Stadt. Danach war in den Flugzeugwerken praktisch keine Produktion mehr möglich.

Die Piloten hatten offensichtlich den Auftrag, die Flugzeugwerke und den Flugplatz zu zerstören. Es wurden aber auch der Bahnhof und dessen Umgebung getroffen. Der tschechische Publizist Jindřich Marek schreibt, daß dabei in Eger 352 Häuser beschädigt wurden. In der "Egerer Zeitung" vom 27. März 1945 wurde um 56 Todesopfer getrauert.

Besonders hoch waren die Verluste unter den freien französischen Arbeitern, die in RAD-Baracken (RAD= Reichs-Arbeitsdienst) auf dem Werksgelände untergebracht waren, und den russischen Kriegsgefangenen, die ebenfalls in den Flugzeugwerken arbeiteten, denn der Angriff erfolgte an einem arbeitsfreien Sonntag.

Während, nach Wolfgang Elsner, der als Dipl. Ing. in den Flugzeugwerken beschäftigt war, die deutsche Belegschaft bei Fliegeralarm das Werk verlassen mußte, um in den Splittergräben bei Pograth (heute Podhrad) Schutz zu suchen, durften sich die Ausländer nicht vom Werksgelände entfernen.

Der Franzose Bernard Derelle, dessen Onkel Paulin Derelle bei diesem Angriff ums Leben kam, schreibt in der Lebensgeschichte seines Onkels über diesen Tag:

"Wegen des schönen Wetters hielt sich die Mehrzahl der Ausländer im Freien in der Nähe der Rollbahn auf. Gegen Mittag griffen sechs Geschwader amerikanischer Bomber Eger an, um die Flugzeugwerke zu zerstören. Auch ein Teil des Lagers wurde getroffen. Die Rollbahn war mit Verwundeten und Toten übersät. Dazwischen lagen Zeitzünderbomben. Pfarrer Josef Garnier, der in Altkinsberg (heute Starý Hrozňatov) die Messe las, kam, um den Sterbenden die Kommunion zu geben und den Toten die Augen zu schließen. Ernest Prudhomme organisierte trotz einer Wunde am Bein den Abtransport Verwundeter ins Krankenhaus in Eger. Hilfreiche Frauen aus Eger versuchten, die Blutenden, die an die Straße getragen wurden, notdürftig zu verbinden. Von 420 Franzosen wurden bei diesem Angriff 73 getötet.

Ernest Prudhomme setzte sich auch für eine ehrenvolle Bestattung der Toten auf dem Friedhof in Eger ein. Sie wurden am 28. März im Soldatenfriedhof im Grabfeld 18 auf ein Bett aus Tannenreisig in ein Gemeinschaftsgrab gelegt. Marc Allaire de Roudelaix notierte die Lage jedes Toten in diesem Grab. Die Trauerfeier gestalteten Pfarrer Garnier und die Überlebenden.

Am 16. Oktober 1953 wurden die Toten nach Frankreich übergeführt. Der Tschechische Verband der Freiheitskämpfer verabschiedete die sterblichen Überreste mit einer ergreifenden Feier und vielen Blumen."

An diesem sonnigen Sonntag mußte bereits der Gottesdienst in der evangelischen Friedenskirche um 9.48 Uhr wegen Luftalarms unterbrochen werden. Erst nach einer halben Stunde konnte man ihn fortsetzen.

Danach heulten die Sirenen erneut.

Diesmal war der Bahnhof, der weiterhin wichtige Eisenbahnknotenpunkt, das Hauptziel.

Hermann Hertl, ein Zeitzeuge, der damals 15 Jahre alt war und in der Langen Gasse ( heute Dlouha) wohnte, schrieb seine Erinnerungen an den schwersten Bombenangriff auf Eger und seinen Gang durch das betroffene Stadtviertel zur 50. Wiederkehr dieser Bombardierung in der März-Ausgabe 1995 in der "Egerer Zeitung" nieder:

"Noch einmal heulten kurz die Sirenen. Akute Luftgefahr! Das Brummen der auslaufenden Sirenen wurde abgelöst vom Dröhnen anfliegender Bombermaschinen.

Nun war es höchste Zeit, den Luftschutzkeller aufzusuchen. In das Dröhnen der Flugzeugmotoren mischte sich ein eigenartiges Pfeifen und Rauschen. Dann dumpfe Detonationen. Also galt der Angriff unserer Stadt.

Unaufhörlich krachten die Bomben, die Minuten wurden zur Ewigkeit. Man konnte nichts tun, nur warten, bis es vorbei war. Endlich kehrte Ruhe ein. Der erste Weg aus dem Keller führte hinauf auf den Dachboden. Zum Glück waren in unserer Gegend keine Brandbomben gefallen."

Hertl machte sich mit zwei Freunden auf den Weg in die betroffenen Stadtteile. "Die Sonne war hinter riesigen Rauchwolken verschwunden. Verstörte Menschen standen vor den Häusern. In der Bahnhofstraße (heute Svobody) wurden Schlauchleitungen gelegt. Das Lagerhaus in der Holdorffstraße (heute Sv. Čecha) brannte lichterloh, während das Gloria-Kino bereits ausgebrannt war. In der Bayernstraße, die es nicht mehr gibt, bot sich ein furchtbares Bild. Die Häuser auf der linken Seite standen zum größten Teil noch, jedoch der Platz rechts der Straße war von Bombenteppichen in eine Kraterlandschaft verwandelt worden. Die große Bahnhofshalle war noch da, aber das Dachgebälk brannte. Die Seitenflügel waren teilweise zerstört."

Vorbei an einem riesigen Bombentrichter erreichten die Buben den Eisernen Steg, der über die Gleisanlagen zur Straße hinter dem Bahnhof führte. Hier brannte teilweise der Bohlenbelag. Trotzdem stiegen sie hinauf, um den Bahnhof zu überblicken. Ihnen bot sich ein Bild der Verwüstung.

"Der Personenbahnhof war ein Durcheinander von zerstörten Waggons und verbogenen Gleisen. Einige Wagen brannten noch, Munition explodierte. Auf dem Güterbahnhof das gleiche Bild. Bombentrichter an Bombentrichter, aufgerissene Gleise, zerstörte Gebäude, umgestürzte Lokomotiven. Eine stand mit den Vorderrädern auf dem Lokomotivschuppen."

Marek schreibt dazu, daß 884 Eisenbahnwaggons total zerstört und 320 schwer beschädigt wurden.

Auch das Haus Schanzstraße (heute Majová) Nr. 45, das dem Essigfabrikanten Uhl gehörte und in dem die Familie der Verfasserin wohnte, hatte teilweise einen Treffer bekommen.

Der Bruder der Verfasserin, Karl Putz, erinnert sich:

"Alle Anwesenden saßen im Keller eng beieinander, ein Deckenlicht erhellte schwach den Luftschutzraum. Ängstlich hörten wir die immer stärker werdenden Motorengeräusche, und dann ging es los!

Waren es anfänglich nur dumpfe Detonationen und deren Druckwellen, die wir spürten, so kamen diese Einschläge immer näher, und plötzlich ein Heulen und Krachen, ein Prasseln und Wändeschütteln! Im Nu war der Keller stockfinster und völlig in eine Staubwolke gehüllt. Einige Hausbewohner schrien um Hilfe. Es gab kaum mehr Luft zum Atmen.

Plötzliche Stille, fast unerträglich. Nur der Kalk rieselte. Es folgten keine weiteren Einschläge mehr. Das Geräusch der Flugzeugmotoren wurde immer leiser. Vater entzündete eine Kerze, die kaum aufflammen konnte, und ordnete an, Taschentücher in den mit Wasser gefüllten bereitstehenden Eimer zu tauchen und über Nase, Mund sowie Augen zu legen.

Die Kellerfenster ließen sich nicht öffnen, weil sie verschüttet waren. Deswegen rannten wir mit Schaufeln und Pickeln die Kellertreppe hinauf zum Kellerausgang. Auch die Tür konnte nicht geöffnet werden. Sie wurde eingeschlagen. Glücklicherweise war sie nicht ganz zugeschüttet.

Zuerst wurde den Frauen hinausgeholfen. Dann folgten die Männer. Gerettet!

Auch hinter dem Haus ein Bombentrichter. Phosphorbrandbomben steckten im aufgeworfenen Erdreich, die die Brände anfachen sollten. Der Dachstuhl brannte. Wir stürmten mit Eimern und Feuerpatschen durch den Hausflur hinauf. Welch ein Anblick! 15-20 Brandbomben steckten in den Bodenbrettern und brannten lichterloh. Mit unseren primitiven Löschgeräten waren wir gegen diese hitzstarken Phosphorstäbe machtlos."

Der Hausbesitzer bemühte sich um Feuerwehrhilfe, aber vergebens. Sämtliche Löschmannschaften waren im Bahnhofsbereich und am Heiligen Berg im Einsatz. Vater und Bruder versuchten einiges aus der Wohnung zu retten und das wenige Hab und Gut der schlesischen Flüchtlingsfrau, die in der elterlichen Wohnung aufgenommen worden war, in Sicherheit zu bringen. Dabei stürzte plötzlich mit großem Getöse der Innenteil des einstöckigen Hauses ein, in dem sich auch Zimmer der elterlichen Wohnung befanden. Zeitzünder waren auf das Haus niedergegangen, die ihre Wirkung nach den Angriffen verursachten. Stundenlang durfte niemand mehr das Haus betreten. Die Bewohner mußten zusehen, wie das Dach ausbrannte.

Das Nachbarhaus Nr. 47 war durch einen Haupttreffer völlig zerstört worden, während die gegenüberliegende Häuserreihe unbeschädigt blieb. Die Altstadt Egers war zum Glück nicht betroffen. Nachdem zwischen Schanzstraße und Gänsbühlstraße (heute Žiškova) kaum Bombenschäden zu beklagen waren, ist anzunehmen, daß sich einige Flugzeuge ziellos ihrer tödlichen Fracht entledigt hatten.

Bei diesem schwersten Bombenangriff auf die Stadt sollen (nach Jindřich Marek) 200 Häuser zerstört und 400 beschädigt worden sein.

Unter der Egerer Bevölkerung waren Tote zu beklagen. Aber auch Flüchtlinge und andere Fremde hatten ihr Leben verloren und wurden in einem Massengrab auf dem Soldatenfriedhof bestattet. Viele Tote dieses Angriffs gehörten zur Wlassow-Armee, deren Unterkunft getroffen worden war. Sie fanden ebenfalls auf dem Soldatenfriedhof, der sich an den kommunalen Friedhof anschloß, ihre letzte Ruhestätte. Eine genaue Zahl der Todesopfer konnte nie ermittelt werden. Nach Marek liegt die Schätzung bei 800 Toten.

Noch im Jahr 1947 standen die Außenwände des einst schönen Bürgerhauses, in dem die Familie der Verfasserin ihr Heim gehabt hatte. Später wurden diese Ruine und das ausgebrannte Lagerhaus abgerissen. Heute befinden sich dort ein Wohnblock und ein Hochhaus in kommunistischer Architektur.

 

Quellen:

Derelle Bernard, F-25420 Bart, Frankreich: Lebensgeschichte meines Onkels Paulin Derelle, 2004

Elsner Wolfgang,: Flugzeugwerke Eger (Teil I und II), in: Egerer Zeitung vom März und April 2004

Fischer Roland: Eger – Gedanken an den Bombenkrieg, in: Egerer Zeitung vom März 1995

Gerstberger Johanna (Hg.): Hugo Gerstberger – Tagebuch Eger – 30. 09. 1923 – 06. 06. 1945, Ludwigsburg, (Privatdruck 2000)

Hertl Hermann: Luftangriff am 8. April 1945, in: Egerer Zeitung vom März 1995

Marek, Jindřich: Šeříkový sólokapr, Cheb 2002

Putz Karl, Sulzbach-Rosenberg: Der Bombenangiff am 8. April 1945 auf unsere Stadt Eger und unser Heim, Erlebnisbericht, 08. 04. 1995

 

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